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Hunde brauchen Raum und Zeit!

Zugegeben diese Headline hört sich ein wenig nach Star Trek an und vielleicht hat hat es ja auch ein bissl davon. Denn es ist eine Einladung, in die unendlichen Weiten der Sinneswahrnehmungen deines Hundes einzutauchen! Dafür braucht es Offenheit, eine Portion Entdeckergeist, den Mut, sich gegen festgefahrene Glaubenssätze zu stellen und nicht zuletzt geht es um einen Perspektivenwechsel, der das Potenzial hat, einige der Herausforderungen im Zusammenleben von Mensch und Hund in Luft aufzulösen. So einfach ist es manchmal!

 

Raum und Zeit - diese beiden Faktoren sind neben Ruhe und Schlaf so gut wie immer ausschlaggebend für ein entspanntes Miteinander und vor allem für einen entspannten Spaziergang mit all den Überraschungen, Herausforderungen und kleinen Abenteuern, die uns dabei erwarten.

 

Aber was hat es konkret mit diesen beiden Begriffen auf sich? Und was „können“ sie wirklich?

 

Immer wieder bekomme ich Anfragen zum Thema Leinenziehen, aggressives Verhalten bei Hundebegegnungen, auch gegen fremde Menschen und Kinder gerichtet oder in Begegnungen mit Radfahrern. Oft sind die betroffenen Hundehalter:innen schon sehr verzweifelt und würden in „solchen“ Situationen am liebsten im Boden versinken, weil sich ihr Hund so dermaßen „daneben“ benimmt. Was die meisten nicht wissen, auch ihre Hunde sind in diesen Situation ebenfalls schon sehr verzweifelt - weil sich schlichtweg nicht gehört werden! Und das obwohl sie schon wirklich laut schreien.

 

Druck und Gehorsam einfordern, sind an diesem Punkt schlechte Berater, die einen nur mäßig bis gar nicht weiterbringen. Meistens tritt man schon sehr lange an gleicher Stelle - im besten Fall. Im schlechteren Fall beginnt sich die Spirale nach unten zu drehen - Unverständnis, Vertrauensverlust, Selbstwertverlust und Enttäuschung, ein Kampf, bei dem es nur Verlierer geben kann, werden zu täglichen Begleitern und noch bevor man zur Tür raus ist, bewahrheiten sich die Vorzeichen der vergangenen Spaziergänge. Täglich grüßt das Murmeltier…

 

Meiner Erfahrung nach lässt sich ein derartig verfahrener Zustand mehrheitlich an zwei Dingen festmachen:

 

Das Equipment

Ganz oft werden „solche“ Hunde an viel zu kurzen Leinen geführt. Das Verwenden von Halsbändern tut sein Übriges, da diesen Hunden die Möglichkeit genommen wird, gut und fein zu kommunizieren, wie es Hunde von Natur aus tun würden. Und zwar in beide Richtungen - dem fremden Hund gegenüber oder einem Menschen, dem man begegnet und dem eigenen Menschen gegenüber. Wenn man bereits wie Zerberus röchelnd und keifend in der Leine hängt, hat man schlichtweg keine Kapazitäten mehr, um dem anderen kultiviert und feinfühlig mitzuteilen, dass die aktuelle Situation grad bitte viel zu viel und mehr als übergriffig ist.

 

Die Wahrnehmung hundlicher Bedürfnisse

Der zweite Punkt lässt sich an einer simplen Frage festhalten:

Warum gehen wir mit unseren Hunden spazieren?

 

Die Antworten dazu sind in etwa diese:

weil der Hund bewegt werden muss

weil ich gerne in der Natur unterwegs bin

weil ich gerne mit meinem Hund unterwegs bin…

 

Das alles ist gut und richtig aber viel zu selten kommt diese Antwort:

Weil mein Hund schnüffeln mag und Hundedinge tun dürfen soll!

 

Hunde sind Nasentiere!

 

Schnüffeln ist eins der wichtigsten Bedürfnisse von Hunden, das einige Vorteile mit sich bringt! Je mehr Hunde während des Spaziergangs schnüffeln dürfen, desto besser können sie sich mit ihrer Umwelt auseinandersetzen. Schnüffeln bedeutet, Informationen über das hundliche Umfeld zu bekommen, es bedeutet also Hund muss sein Köpfchen aktivieren. Je besser ein Hund über seine Umgebung bescheid weiß, desto sicherer und entspannter kann er sich darin bewegen. Sicherheit zieht Selbstsicherheit mit sich und bedeutet, dass man mit Herausforderungen besser umgehen kann. D.h. nicht jeder kleine Pups, der von der Norm abfällt, lässt den Hund aus dem Rahmen kippen. Darüber hinaus hat Schnüffeln nicht nur geistig entspannende Wirkung, sondern entspannt auch die gesamte Rumpfmuskulatur.

 

Hunde müssen schauen dürfen!

 

Nicht jedes Schauen bedeutet gleich Fixieren! Manchmal werden Hunde von Geräuschen getriggert - das Lachen von Kindern, die laute Musik aus einem Auto, das Zuknallen einer Tür. Dann müssen sie schauen, um das Geräusch einordnen zu können. Gibt es dazu ein Bild - spielende Kinder oder der Mensch, der eine Tür energischer zugemacht hat und vielleicht noch einen informierenden Kommentar seitens Hundehalter:in gibt auch das wieder Sicherheit und das Szenario ist entschärft. Manche Hunde schauen im Stehen, manche setzen sich und andere legen sich hin. 

 

Damit sich ein Hund mit seiner Umwelt gut und nachhaltig auseinandersetzen kann,  braucht es beiderseitiges Vertrauen, einen guten Rahmen und eben Zeit! Das heißt für seinen Menschen, achtsam mit seinem besten Freund unterwegs zu sein. Das Gehtempo grundsätzlich ein wenig zu reduzieren, ist schon sehr hilfreich. Stehen zu bleiben, wenn Hund stehen bleibt, um zu schnüffeln oder zu schauen, gemeinsam durch die Gegend zu schlendern, bringt eine große Portion an Qualität in den Spaziergang.

 

Bekommt ein Hund dann auch noch genügend Bewegungsradius über eine lange Leine steht dem gemeinsamem Spaziergeh-Glück so gut wie nichts mehr im Weg!

 

Und wo bleibt die Orientierung am Menschen?

 

Die vermeintliche Krone der Schöpfung hat es schon gerne, wenn sie angehimmelt wird. Wenigstens ein bisserl. Aber keine Angst, unsere Hunde wissen es zu schätzen, wenn sie gehört werden, wenn ihre Bedürfnisse von uns Menschen wahrgenommen werden. Dann kann es schon "passieren", dass man plötzlich einen Hund an der Leine hat, der viel enger in Kontakt ist als zuvor. Wie heißt es so schön - manchmal muss man loslassen, um Nähe zu bekommen!

 

Was heißt das alles nun konkret für das Beispiel Hundebegegnungen?

Szenario 1 - Wird ein Hund an kurzer Leine in hohem Gehtempo Gassi geführt, hat er so gut wie keine Chance, sich mit seiner Umgebung auseinanderzusetzen, wie es ihm entsprechen würde. Sämtliche Außenreize und Sinneseindrücke rauschen an ihm vorbei, ohne dass er die Möglichkeit hat, auch nur das eine oder andere einzusortieren. Das kostet natürlich Energie. Taucht dann auch noch ein fremder Hund auf und wird der eigene Hund frontal in die Situation reingeschoben, sind nur noch wenige Reserven übrig, um die Contenance zu wahren. Eine sehr wirksame Strategie, die dem Hund bleibt, ist sein Gegenüber anzubrüllen, er möge sich jetzt und sofort verp…

 

Szenario 2 - Ein Hund, der es gewohnt ist, sich mit seiner Umwelt auseinanderzusetzen, indem er die Zeit bekommt, ausgiebig zu schnüffeln und zu schauen und das in einem großzügigen Leinenradius wird, wie gesagt, nicht gleich aus den Latschen kippen, wenn etwas Unvorgesehenes passiert. Denn einerseits hat er durch die lange Leine die Möglichkeit auszuweichen - was unter natürliches hundliches Verhalten fällt - und wird nicht durch seinen Menschen in der Situation gehalten oder sogar reingedrängt. Andererseits kann er den selbstgewählten Abstand nutzen, um sich durch Schauen mit seinem Gegenüber zu befassen. Darüber hinaus kann er das Schnüffeln als Beschwichtigungssignal nutzen, um dem Anderen zu signalisieren - alles gut, du kannst deiner Wege gehen, ich will genau gar nix von dir! Das beste daran ist, Hunde, die so in ihren Fertigkeiten gestärkt und unterstützt werden, treffen eigenständig gute Entscheidungen und können sehr schnell gut und sicher mit herausfordernden Situationen umgehen, die im Leben durchaus mal vorkommen. Sie finden sich immer besser auch an Örtlichkeiten zurecht, wo nicht soviel oder gar kein Platz zum Ausweichen vorhanden ist.

 

Ein kleiner Exkurs aus aktuellem und immer wiederkehrendem Anlass

Was mich in diesem Zusammenhang richtig unrund macht, ist die Lehrmeinung ewig gestriger Hundeschulen, die meinen das A und O im Zusammenleben mit Hunden ist Kontrolle und Unterwerfung und das Bestrafen jeglicher Kommunikationsversuche der Hunde, die aus schwierigen Situationen einfach nur raus wollen - und ja, ich meine das so polemisch wie es hier steht! Da zieht auch nicht das Argument, dass positives, gewaltfreies Training viel zu kompliziert sei. Ist es nicht. Und - by the way - es dauert auch nicht länger, um ans gewünschte Ziel zu gelangen, wenn wir uns schon im leistungsorientierten Kontext bewegen.

 

Es geht im Zusammenleben mit unseren Hunden nicht darum, dass ein Hund das auszuhalten hat, was sich Mensch grad wünscht. Vielmehr ist es die Aufgabe des Menschen, dem Hund zu zeigen, wie er gut und sicher durch herausfordernde Situationen gehen kann. Voraussetzung dafür sind ein gutes Einfühlungsvermögen und eine gute Beobachtungsgabe seitens des Menschen, das Wissen um das Ausdrucksverhalten und die Kommunikation von Hunden und um verlässliche Hilfestellung wenn es schwierig ist.

 

Damit Hundehalter:innen diese Fertigkeiten erlangen und verfeinern, sind wir Trainer:innen und Hundeschulen in der Verantwortung! Wir haben die Verantwortung, Hundehalter:innen zu zeigen, dass sie ihre Hunde nicht verbiegen, maßregeln oder brechen müssen, damit sie in gesellschaftliche Normen passen. Wir haben die Verantwortung ihnen zu zeigen, wie sie gemeinsam und gut durchs Leben gehen können. 

 

Richtig frustrierend ist es, die Scherben aufzukehren, die die andere hinterlassen haben, in traurige Kundenaugen zu blicken, die erkennen, dass da gehörig etwas falsch gelaufen ist.

 

Unsere Aufgabe als Trainer:innen ist aber auch, diese Menschen wieder aufzurichten, sie nicht zu bewerten und zu verurteilen. Unsere Aufgabe ist es, diesen Menschen und ihren Hunden wieder ein Strahlen ins Gesicht zu zaubern und ihnen zu zeigen, wie schön und unbeschwert das Zusammenleben mit Hund sein kann.

 

Und ja, manchmal braucht es nicht viel dazu! <3

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